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Bikepacking-Overnighter am letzten Sommer-Wochenende

Der Walchensee ist legendär schön, so dass er seit jeher an sonnigen Tagen Tausende von Besuchern anzieht. Dann steht alles voll mit Autos. Nur in den frühen Morgenstunden, wenn noch alles kalt und klamm ist vom Tau, präsentiert sich der See still und menschenleer.

Es gibt einige Gründe, nach München zu ziehen und nie wieder woanders hin. (das mag nicht für jeden Charakter gelten und nicht für jede Erwartungshaltung - ich könnte mir keinen besseren Ort wünschen). Einer der besten Gründe ist ganz ohne Frage das bayerische Voralpenland im Spätsommer. Und die ideale Art, ein Stückchen Erde zu erfahren, ist für mich mit dem Rad. Zu Fuß ist es natürlich mindestens genauso schön (beim Wandern auf den Bergkämmen der Münchner Hausberge zum Beispiel), aber auf dem Rad siehst du in viel kürzerer Zeit viel mehr vom Land. Und wenn du richtig planst, entdeckst du menschenleere Stücke Natur von romantischer Schönheit, die du mit dem Auto schlicht und ergreifend niemals zu Gesicht bekommen wirst.


Der Leo wollte jedenfalls schon immer mal eine Radtour machen mit dem Papa - mit Übernachtung im Zelt und so richtigem Outdoor-Abenteuer. Er liebt sein Liegerad, das ihm trotz Gehbehinderung ein hohes Maß an Autonomie und Beweglichkeit schenkt. Das E-Bike schafft voll beladen mit zwei Akkus (500 Wh und 400 Wh) etwas über 100 Kilometer, und das ist auch ziemlich genau die Distanz, die Leo an einem Tag körperlich bewältigen kann (ganz ohne Treten geht es auch bei einem Liegerad nicht, und das sind dann auch rund fünf Stunden auf dem Bike). Und er fährt einfach gerne, liebt diese Dynamik, die das Rad ihm bietet.


Schon seit Wochen hatten wir ein Auge auf die Wetterbedingungen, aber es wollte einfach nicht so richtig passen. Dieser Sommer 2025 hatte seine heißen Tage, war aber durchaus durchwachsen und an den Wochenenden häufig einen Tag regnerisch. Das geht zwar auch mit der richtigen Ausrüstung (meist regnet es tatsächlich viel weniger als prognostiziert), macht aber nicht so viel Spaß. Doch diese Mal passte es perfekt: Das vorletzte Spätsommer-Wochenende im September zeigte zwei makellose Sonnen in der Wetter-App. So gut wie keinen Wind und nochmal Temperaturen bis an die 30 Grad. Yeah! DIE Gelegenheit, dem Wiesn-Anstich-Wahnsinn in München am gleichen Wochenende zu entkommen.


Zu dieser Jahreszeit ist das Licht mit Abstand am schönsten im Jahr, die Natur erscheint geradezu kitschig verklärt, ganz besonders in Oberbayern. Noch sind die Wiesen im welligen Voralpenland satt grün, bei trockenem Wetter ein letztes Mal vor dem Winter gemäht, und es durftet überall nach frischem Heu. Die Bäume mischen erste Gelb- und Brauntöne zum Wiesengrün. Darüber ein strahlend knallblauer Himmel, nicht mehr so hart ultraviolett wie im Hochsommer, dazu das tiefe Blaugrün der Isar - idyllischer geht’s einfach nicht.


Leo und ich haben also am Freitag Abend ein paar Sachen gepackt, das treue Expeditionszelt, das schon über 20 Jahre alt ist und uns schon in Patagonien treue Dienste geleistet hat, Schlafsäcke, Isomatten, den Jetboil-Gaskocher, Wasser, Mineralpulver.


Auf dem Campingplatz am Walchensee haben wir gerade noch den letzten freien Stellplatz reserviert (ein kleines Zelt und zwei Fahrräder gehen eigentlich immer). Wild Campen wäre zwar auch denkbar gewesen zur Not – aber nicht in einem derart stark überwachten Gebiet wie dem Walchensee oder gar im Naturschutzgebiet (da kennen die Förster zu Recht keine Gnade). Außerdem solltest du beim wild Campen kein Zelt aufstellen und eher Camouflage beherrschen (der fauchende Gaskocher ist dann auch nicht ideal). Ein Biwak unter freiem Himmel ist Ende September sowieso eher eine grenzwertige weil sehr nasse Angelegenheit: über Nacht fällt nach einem warmen Sommertag schon sehr viel Tau, und es kühlt stark ab.

Komoot bietet eine Menge Routen-Alternativen von München an den Walchensee, es ist beinahe überall möglich, größere Straßen fast vollständig zu meiden und auf einsamen Landsträßchen oder Waldwegen zu rollen, zum Beispiel auf dem wundervollen Isarradweg.


Nur am Kesselberg kommst du kaum vorbei, der in Serpentinen vom Kochelsee hinauf zum Walchensee führt: Wenn du diese Route umfahren willst, musst du entweder einen ultrasteilen Schottertrail von Kochel am See nehmen, der nur mit dem Mountainbike zu bewältigen ist – aber nicht mit einem beladenen Liegerad. Oder du fährst hintenrum über Bad Tölz und die Jachenau, eine ganz wundervolle Strecke, die wir uns allerdings für den Rückweg reserviert hatten, weil es da über viele Kilometer vom Walchensee flach und mühelos hinaus rollt bis zurück nach Lenggries. Über Krün gelangt man unter Umgehung des Kochelsees auch an die Rückseite des Walchensees. Die Variante wäre allerdings auch eine Streckenverlängerung gewesen, die wir mit Blick auf die Akkukapazität des E-Bikes nicht ausprobieren wollten.


Also sind wir den Kesselberg rauf, das ist in keinem Fall eine empfehlenswerte Erfahrung mit dem Fahrrad, zwischen ungeduldigen bis aggressiven Auto- und Motorradfahrern, Lärm und Gestank. Andererseits dauert der Anstieg auch nicht ewig lang und ist einzige Alternative. Und es gibt da grad eine Baustelle mit Ampel, dann hast du immer fünf Minuten komplette Ruhe, und dann kommen zehn Autos am Stück, und danach ist wieder Ruhe. Ging also, war trotzdem nicht schön.


Kurz vor Anmeldeschluss und auf dem letzten Balken im Ladedisplay des zweiten Akkus erreichten wir den Campingplatz, stellten flugs unser Zelt auf und gingen was essen. Als wir zurück zum Zelt radelten, wurde es bereits dunkel. So ein bewirtschafteter Zeltplatz benötigt zwar ordentlich Formalien und Zeit (vor allem, wenn die stets gute gelaunte Betreiberin mit jedem der Gäste vor dir in der Schlange minutenlang ratscht und die Platzeinweisung in epischer Länge präsentiert), er bietet aber sehr saubere Toiletten, an jedem Wasserhahn frisches Wasser und für einen Euro warmes Duschwasser. Den Luxus leisten wir uns gerne und liegen gegen 20 Uhr in den Schlafsäcken – nicht ohne den leeren Akku an eine Außensteckdose angeschlossen zu haben, der braucht nämlich rund fünf Stunden Ladezeit, bis er wieder ganz voll ist.


Die Nacht ist nasskalt, und die Kondensflüssigkeit spürst du sogar am Innenzelt. Mitten in der Nacht gehe ich mal das Bierchen wegstellen und tausche den Akku an der Steckdose. Am Morgen kriechen wir schließlich etwas klamm und kalt aus dem klitschnassen Zelt, schütteln es behelfsmäßig ab und rollen es nass zusammen, so wie es ist. Ich hätte schwören können, zwei Päckchen Kaffee eingesteckt zu haben, finde sie aber nicht. Gibt’s halt nur eine Tasse heißes Wasser, auch gut. Die Sonne wird es erst sehr viel später über die Bergkette schaffen, so lange wollen wir nicht warten.


Die Rückfahrt über die Jachenau und ab Lenggries über den Isarradweg entschädigt für die eher mühsame Nacht. Für mich ist die Isar der schönste Fluss der Welt, von ihrem Ursprung im Karwendel bis durch München hindurch ein naturbelassener bzw. renaturierter Traum in Schotter und Grün – als wärst du irgendwo in Kanada.


Zurück nach München zieht es sich dann doch, der Leo bleibt aber tapfer und strampelt auch die letzten 20 Kilometer vorbei an der Pupplinger Au, der Kugler Alm (wo die drei Bodenschwellen liegen, die gerade sehr viel mediale Aufmerksamkeit kriegen), der Nussbaumranch und schließlich durch Ramersdorf.


Zuhause scheint noch die warme Spätnachmittagssonne, schnell das triefend nasse Zelt ausgepackt und zum Trocknen in den letzten Sonnenstrahlen ausgebreitet. Zur Belohnung gibt’s ein eiskaltes Bierchen, und ich verabschiede diesen Sommer, indem ich in die tief stehende Sonne blinzle und die Eindrücke und Gerüche verarbeite. Und dann ist dieses unvergessliche und wunderbare Wochenende auch schon wieder zu Ende.


Und der Sommer ziemlich sicher auch.

👉 kleine Beiträge wie dieser sind Erinnerungen: an reine Freude, die ich empfunden habe - und häufig auch immer wieder, wenn ich sie sehe. Ein ungewöhnlicher Blick, überraschende Sichtweisen und Entdeckungen, inspirierende Kreativität, ein schöner Gedanke, gelungenes Handwerk, schöne Formulierungen, Dinge mit Seele. Sie sind vollkommen zweck- und absichtsfrei - und trotzdem alles andere als sinnlos: Es tut unendlich gut, sich jeden Tag über etwas zu freuen. Und sei es noch so unbedeutend. Enjoy!

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