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Die Weihnachtsschraube

Schraube, torx

Jetzt ist ja Vorweihnachtszeit, und morgen ist schon wieder der 2. Advent. Die Innenstädte sind routinemäßig voller Lichterketten und Sterne, neuerdings mit LEDs. Deren Licht ist zwar nicht ganz so warm wie Glühbirnen, dafür verbrauchen sie nicht mal zehn Prozent des Stroms. Zwar haben Lichterketten mittlerweile mehr mit Konsumstimmung zu tun als mit Besinnlichkeit, aber selbst die Konsumfreude ist nicht mehr das, was sie einmal zu sein pflegte. Auf den Weihnachtsmärkten verklebt billiger Fusel in teurem Glühwein Tassen und Gemüter, und die Nachrichten sind so voller finsterer Details, dass man sich ohne Zuhilfenahme von Glühwein schon ein wenig schwer tut mit dem "warm ums Herz". Genug Realismus Sarkasmus, das hier soll ja eine süße kleine Schraubenstory werden.


Torx-Schrauben jedenfalls, um also gerade noch rechtzeitig die Kurve zu kriegen, sind insofern großartig, weil sie die Kontaktflächen des Schraubwerkzeugs deutlich vergrößern gegenüber ihren antiquierten Vorgängern, den Schlitzschrauben. Und deswegen viel besser greifen als alle Lösungen zuvor, seien es Kreuzschlitz- oder Innensechskantschrauben. Torx-Schrauben sind geschützt, genauso wie  Inbus (mit N wie "innen", nicht mit M). Es muss schon großes Ungeschick oder rohe Gewalt wirken, dass eine Torx-Schraube mal rund wird und das Werkzeug nicht mehr greift. Eher reißt der Schaft ab. Oder das Werkzeug (ich weiß nicht, wie viele Euro ich schon in Ersatzbits der Größe T20 gesteckt habe). Im Grund genommen nüchterne Physik, aber trotzdem ein Fortschrittswunder. Man fragt sich ernsthaft, warum es den sternförmigen Innensechskant nicht schon viel länger gibt, im Gegensatz zur Schraube an sich: Die ersten eindeutig belegten Gewindeschrauben wurden schon ca. im 4. Jahrhundert v. Chr. benutzt, im griechisch-hellenischen Raum. Lag vielleicht an den Fertigungsmöglichkeiten. So eine Torx-Schraube möchtest du jedenfalls unbedingt erfunden haben (und patentiert). Hab ich leider nicht.


Außerdem sind Torx-Schrauben richtig hübsch, finde ich. Das mag eine etwas ungewöhnliche Sichtweise sein, wer freut sich schon über die Schönheit von sowas Banalem wie einer Schraube! Ich finde jedenfalls, sie sind beinahe wie ein kleines metallenes Schmuckstück. Von eben betrachtet, ein kleiner metallener Weihnachtsstern. Der Weihnachtsstern ist ja das biblische Symbol für Hoffnung. Hoffnung  konnten nicht nur zu Zeiten des Kaisers Augustus die Einwohner von Galiläa brauchen, der Bedarf an Hoffnung ist bis heute annähernd gleich groß geblieben unter den Menschenkindern. Der Stern wies den Hirten und den drei Königen den Weg zur Krippe in Bethlehem, und selbst wenn die Geschichte erfunden ist, ist sie so grandios erzählt, dass sie zweitausend Jahre überstanden hat und heute als Lichterkette in der Fußgängerzone leuchtet, wenn auch wie gesagt inhaltlich etwas entfremdet vom ursprünglichen Kern. Vielleicht bräuchte es mal wieder eine neue Erzählung mit einer derartigen Strahlkraft. Letztlich sind es ja die grandiosen Erzählungen, an denen die Menschheit sich durch die Geschichte hinweg geklammert hat. Im Moment wird zwar viel und laut und allerhand durcheinander geredet. Eine große Erzählung aber, die den Menschen wirklich wirklich Hoffnung macht, ist aber tendenziell eher nicht in Sicht. 


Schrauben also. Klein und unscheinbar, meist übersehen, kaum beachtet. Für mich aber lauter kleine Weihnachtssternchen. In meinem besonderen Fall hat der große Stern in der Mitte sogar noch einen klitzekleinen Begleiter. Man entdeckt ihn erst auf den zweiten Blick, weil er so winzig ist wie das
Augenprüferlein im Sternbild des Großen Wagen. Das sieht auch nicht jeder. Die meisten Menschen tun sich bereits schwer damit, überhaupt den großen Wagen am Himmel zu finden,wenn sie was finden, dann allenfalls übers Navi des großen Wagens, in dem sie gerade sitzen. Ach, Verzeihung, die Ironie wollte ich ja weglassen. In so einer Torx-Schraube mit Begleitersternchen jedenfalls steckt ein kleines Lächeln. Oder, um genauer zu sein, das Lächeln steckt gar nicht in der Schraube. Es steckt in dir selber.


Einen schönen 2. Advent wünsche ich Euch allen!

👉 kleine Beiträge wie dieser sind Erinnerungen: an reine Freude, die ich empfunden habe - und häufig auch immer wieder, wenn ich sie sehe. Ein ungewöhnlicher Blick, überraschende Sichtweisen und Entdeckungen, inspirierende Kreativität, ein schöner Gedanke, gelungenes Handwerk, schöne Formulierungen, Dinge mit Seele. Sie sind vollkommen zweck- und absichtsfrei - und trotzdem alles andere als sinnlos: Es tut unendlich gut, sich jeden Tag über etwas zu freuen. Und sei es noch so unbedeutend. Enjoy!

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