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Willkommen!


Meine Profilbilder da oben sehen genau aus wie ich. Aber das bin nicht ich. Auch aus einer optischen Kamera wären es nur Abbilder (mit deren Trughaftigkeit hat sich bereits 1929 der junge Rene Magritte auseinandergesetzt, einer der Pioniere des Surrealismus: Ceci n'est pas une pipe). In diesem Fall handelt es sich um maschinengenerierte Avatare oder Deep Fakes. Für das Training der eingesetzten KI reichten eine Handvoll Fotos aus einem einzigen Shooting. Wer die Bilder hier mit dem lebenden Original vergleicht, wird denken: holy crap! Finde ich das noch faszinierend oder schon furchterregend? Zieht uns der Surrealismus des 21st Century möglicherweise gerade den Boden unter den Füßen weg? Wer's nicht glaubt, suche auf Youtube nach Videos zu OpenAIs Videogenerierungstool Sora.


Diese Seite ist wie ein Gletscher: Sieht nicht so aus, ist aber permanent in Bewegung. Immer wieder überprüfe ich, ob mein Gesülze von gestern noch zum Heute passt. Aufschreiben: tolles Tool zum Reflektieren.

Letzte Änderung:
11. April 2024.


tl;dr:


Schwer zu übersehen: Ich mag Abenteuer. Bekanntlich besteht das Wesen des Abenteuers darin, dass sein Ausgang ungewiss ist. Es kann schief gehen. "Courage is knowing it might hurt and doing it anyway. Stupidity is the same. That's why life is hard." Abenteuer stehen synonym für "intensives Leben".


Leicht zu übersehen: Abenteuer beschränken sich keineswegs nur auf Outdoor. Eine Firma zu verantworten, ist auch ein Abenteuer. Ein sehr intensives sogar. Und was die Menschheit gerade mit KI erlebt, ist vielleicht ihr größtes Abenteuer überhaupt.

Fahrräder und Outdoor-Sportarten sind meine Leidenschaft und mein Why, Medien mein Metier. Ich biete reiche Marketing- und Kommunikationserfahrung, liebe digitale und technische Themen und habe Veränderung nie als Bedrohung empfunden, sondern meist als Gestaltungschance. Was ist ein gutes Leben? Was ist gute Arbeit? In welcher Gesellschaft wollen wir leben? Kann Wirtschaft florieren, ohne den Planeten zu zerstören?


Das Fortschrittsversprechen liberaler westlicher Demokratien steckt in der Krise - aber ist das ein Grund, den Kopf in den Sand zu stecken? Keinesfalls! Es ist wie beim Radfahren: Bleib einfach in Bewegung. Natürlich wirst du stürzen. Verletzt sein. Zweifeln. Aufstehen. Wieder fallen. Weiter, immer weiter! Leben ist Auf und Ab, nur Maschinen funktionieren linear.


Longread


Da du hierhergefunden hast, möchtest du vermutlich ein bisschen mehr über mich wissen. Privates wirst du nicht viel erfahren. Falls dich das interessiert, lass uns gerne irgendwo auf einen Kaffee treffen. Ein gutes Gespräch ist durch nichts zu ersetzen. Auf Instagram bin ich zwar noch zu finden, mache da aber seit einiger Zeit kaum noch was. Facebook, Twitter aka X, TikTok usw. habe ich verlassen. Trotz – oder gerade wegen meiner jahrelangen Begeisterung für Social Media.


Gemessen daran, welcher Wert bloßer unspezifischer Reichweite nach wie vor zugeschrieben wird, mag ein Social-Media-Rückzug arrogant erscheinen - oder hoffnungslos gestrig. Das Gegenteil ist der Fall. Wer beobachtet, wie das Netz seinen Charakter durch den Einfluss von KI gerade in atemberaubender Geschwindigkeit verändert, erkennt: Die Party ist vorbei. Zumindest für die großen Plattformen. Reichweite differenziert sich aus, in sehr viele granulare und mutmaßlich sehr viel weniger öffentlich sichtbare Interessensgruppen als heute. Drei gute Kontakte, mit denen du ein offenes Gespräch führen kannst, bewirken mehr als 10.000 unspezifische Follower, von denen bei genauerer Überprüfung auch noch 80 Prozent Bots sind.


Viel zu lange haben wir auf fremdem Grund gebaut


Viel zu lange haben wir auf fremdem Grund gebaut und uns auf die großen Social Networks verlassen. Das war ein Fehler. Wir wollten es nicht wahrhaben und haben lieber an das Cluetrain Manifest geglaubt. Sozialromantik, digitale Version. Im Kern war die Hoffnung auf ein großes freies, Kulturen verbindendes Internet genauso naiv (und genauso schön) wie die Hoffnung der 68er, mit Blumen und Musik ließe sich die Welt verändern. Romantik ist die schönste Form der Hoffnung. But: There ain’t no such thing as a free lunch.

Der Hamburger Soziologe
Urs Stäheli spricht von "Übervernetzung": Am Anfang der digitalen Vernetzung "bestand die Hoffnung, dass das digitale Netz Partizipation ermöglicht und Expertenkulturen abschwächt, so dass Wissen und Entscheidungen demokratisiert werden". Auf die vernetzte folge heute die übervernetzte Gesellschaft. Der Erkenntnis folge zwar in der Regel nicht der vollständige Rückzug - jedoch eine individuell sinnvolle Eingrenzung digitaler Vernetzung.


Bei mir ist das eine sehr nüchterne Abwägung: Ich habe immer weniger Freude an bzw. echten Nutzen von der "Stärke schwacher Verbindungen" in sozialen Netzen, gemessen an der aufzuwendenden Zeit (wie beim Goldschürfen musst du eine Menge Schutt zur Seite schaufeln, um ein paar Körnchen zu finden). Ich möchte meine Zeit lieber anders nutzen - allerdings ziehe ich mich keinesfalls komplett zurück, sondern begrenze lediglich die Zeit, die ich dort verbringe.


Aufschreiben bleibt für mich die wirksamste Methode, Gedanken festzuhalten und zu ordnen. Gespräche bleiben das wertvollste Werkzeug, um den Blick zu öffnen, die eigenen Standpunkte in Frage zu stellen und neue Perspektiven zu entdecken. Das Web bleibt das genialste Werkzeug, um eigene Gedanken mit denen anderer zu kreuzen. Warum nicht alles miteinander verknüpfen? Das war die Utopie.


Ich liebe Fahrräder, Ausdauersport, Berge – Berge ein bisschen mehr als das Meer. 1990 bin ich deswegen aus dem Badischen in den Süden gezogen, wo sich diese Leidenschaften mit dem beruflichen „was mit Medien“ gut kombinieren ließen. So sehr wie die Natur liebe ich auch Technik, Computer, Software, Digitalisierung, virtuelle Welten, DAS NEUE. Meine Vita und ein paar Extras findest du bei LinkedIn. Auch auf Xing bin ich längst nicht mehr.


Bedrucktes Papier, seriously?

Medien- und Kommunikationskonzepte sowie ihre Umsetzung waren immer meine Aufgabe – als Chefredakteur, später als Agenturgeschäftsführer: Elf Jahre operative Verantwortung bei der Kommunikationsagentur Gingco.Net brachten reiches Marketingwissen und tiefe Insights in spannende Organisationen.


Wenige Jahre zuvor, 1999, haben wir ein KI-Startup gegründet, als die meisten Menschen auf dem Planeten gar nicht wussten, was Machine Learning oder neuronale Netze überhaupt sein könnten. Das hat sich mittlerweile etwas geändert. Grandios gescheitert zwar. Aber mit Gründerpreis. Und einem Sack voller kostbarer Lektionen.


Ab 2002 habe ich dann als Agenturdienstleister Unternehmenskunden wie Volkswagen und Audi beraten, E.ON, MAN Truck & Bus, Altana, den TÜV SÜD, die Betriebskrankenkasse des Volkswagen-Konzerns Audi BKK oder den Zentralverband der Elektroindustrie ZVEI. Congrats, Digger: Dieses Wissen ist nichts mehr wert. Was vor 15 Jahren erfolgreich war, wäre heute „Opa erzählt vom Krieg“.


Seit 2016 bin ich Geschäftsführer der BVA BikeMedia GmbH, einer Tochter der Gundlach-Gruppe. Der Fachverlag publiziert seit mehr als 140 Jahren Medien rund ums Radfahren: Faltkarten, Bücher, Zeitschriften, digitale Formate und neuerdings auch Webinare und Podcasts (👉 Lousy Pennies). Bedrucktes Papier, seriously?


Das Verlagsgeschäft ist ein Abenteuer der besonderen Art. Gerade weil es sich so fundamental umkrempelt. Im Zeitalter exponentieller Entwicklungen wird sich in den kommenden zehn Jahren mehr verändern als in den vergangenen 140. Der traditionsreiche Fachverlag steckt, wie alle Medienunternehmen, tief im digitalen Wandel und sucht seine Rolle in einer Medienwelt, in der die alten Geschäftsmodelle immer schlechter tragen, neue aber noch nicht so richtig. DAS ist ein Abenteuer!

Eigentlich dürfte ich nicht mehr schreiben


Eigentlich dürfte ich nicht mehr schreiben (dies hier ist ja, wie eingangs erwähnt, auch mehr eine selbstbezügliche Reflektionsübung und kein Medium mit Außenwirkungs- oder gar Dialoganspruch). Ich sollte filmen, Siebensekünder und Storytelling für Vertical Scrolling Devices, Snackable Content für die Generation Goldfisch. Sieben Sekunden dauern die erfolgreichsten Bewegtbildposts auf TikTok, das beim Organic Reach die meisten Online-Plattformen übertrifft (mit Ausnahme von Snap, das allerdings auch gerade schwächelt, zumindest bei den Zahlen).


Längst sind Hersteller selbst zu Medienproduzenten geworden - eine sehr milde Formulierung für die Tatsache, dass aus deinen größten Werbekunden von vor fünf Jahren Wettbewerber geworden sind im Ringen um Reichweite und Aufmerksamkeit für prinzipiell ähnliche Inhalte. Man diskutiert nicht mehr über Zielgruppen, sondern über Customer Journeys, Touch Points, Conversions und Data Insights. Und die will jeder selbst beherrschen. Verständlich. Bei Fachinformationen geht es meist gar nicht mehr um den Inhalt. Sondern nur noch ums Verkaufen.


Nicht nur das Mediennutzungsverhalten verändert sich quer durch alle Altersschichten, auch die Konnotation für den Begriff „Inhalt“. Substanz hat sich beinahe überall schleichend verabschiedet, Content hat sie ersetzt. Inhalte entstehen nur noch im Ausnahmefall aus echtem Interesse am Thema oder Gedanken, sondern um ihrer Monetarisierbarkeit wegen - eine nach Algorithmenregeln auf das Verwertbare reduzierte Wirklichkeit. Darin steckt keinerlei Sinn, nur die Hoffnung auf Geld.

"Jemand opfert seine Zeit, um zu erfahren, was Sie geschaffen haben. Im Austausch dafür müssen Sie etwas zurückgeben"


Content ist die Tonne, aus der das amorphe Fast Food einer Maschinerie ins Netz gekippt wird, die immer hungrig – und der Substanz völlig egal ist. Der "Drive"-Regisseur Nicolas Winding Refn beschreibt das in einem Interview mit der Süddeutschen Zeitung so: "Jemand opfert seine Zeit, um zu erfahren, was Sie geschaffen haben. Im Austausch für diese Zeit müssen Sie etwas zurückgeben. Etwas Ernsthaftes, nicht einfach nur etwas Unterhaltsames. Im Gegensatz zur KI kann von Menschen geschaffene Kunst die Menschen zum Nachdenken inspirieren, zur Spiritualität, zu dem, wonach in Religionen gesucht wird. In der Religion wird nach Antworten gesucht, nach Erleuchtung, nach Erkenntnis. In der Kunst ebenfalls. Die Erfahrung, sich durch Inhalte zu scrollen, ist dahingegen nicht erhellend...".


Es ließe sich auch so zusammenfassen: Wenn es keine Seele hat, ist es eine leere Verpackung. Die kann in die Tonne. Der Schauspieler Anthony Hopkins hat gesagt „Wir leben in einer Verpackungskultur, die Inhalte verachtet“. Ich fürchte, er hat Recht. Content ist inflationierte Masse nach der Formel Masse+Mittelmaß+SEM=billige Reichweite, Hauptsache schnell und billig, zunehmend maschinengeneriert von Bots und KIs (👉 Maschinenträume), die schnell lernen, unbegrenzt aktiv sind und gezielt ihre Agenda dort multiplizieren, wo sie Response messen, emotional, erregungsmustertauglich, engaging. Was zählt, ist der Outcome, die Conversion – ganz gleich, ob die Agenda kommerziell ist oder politisch.


"Wir sprechen heute so viel über Content, aber nicht darüber, warum wir ihn produzieren. Die Werbung, die Wegwischbilder, die austauschbaren Formate der Streamer: Wer braucht das ganze Zeug ohne tiefere Bedeutung? Niemand", sagt Nicolas Winding Refn. Aus Sicht der Contentmüllproduzent:innen sieht das natürlich etwas anders aus: Man bedient gezielt die Maschinerie, um Geld zu machen und ignoriert die resultierenden Kollateralschäden.


"Wir sprechen heute so viel über Content - aber nicht darüber, warum wir ihn produzieren"

"I had to become a spammer to become successful"


Digitale Vernetzung hat Gutenberg längst abgelöst als wirkmächtigste gesellschaftliche Veränderungskraft, und wir sind gut beraten, uns so intensiv und differenziert wie möglich damit auseinanderzusetzen – keineswegs nur im geschäftlichen Kontext eines Fachverlags. Suchmaschinen sind die Gatekeeper, und die gesamte Welt tanzt nach den Spielregeln ihrer Algorithmen: Suchmaschinen bestimmen, welches Bild von der Welt wir uns machen, was wir zu sehen bekommen.


Wir ertrinken in Informationen aber hungern nach Wissen“ hat John Naisbitt vor 30 Jahren gesagt. „Wissen ertrinkt in Myriaden von Informationen, deren Herkunft und Intentionen uns verwirren“, ergänzt das Zukunftsinstitut in einem Newsletter: Die Wissenskultur werde überschrieben vom Lärm einer „Infodemie“, in der „die Kontexte des Wissens langsam wegschwemmen (…) und alles, was wir zu wissen glauben, nur noch auf Reiz und Reaktion basiert“. Der kanadische Internetpionier, Autor und Blogger Cory Doctorow hat mit "Enshittification" einen lustigen Begriff für die Überflutung des Netzes mit leerem Verpackungsmüll geprägt. So richtig übersetzen lässt sich das nicht: Verschlimmscheißerung des Internet.

Überschreiben wir die Wirklichkeit gerade auf eine Art und Weise, die uns Menschen Stück für Stück den Boden unter den Füßen wegzieht?

Und was passiert, wenn vor allem Maschinen mit Maschinen sprechen und wir Maschinen einsetzen müssen, um dies zu erkennen? Der „Content Shock", über den wir schon vor zehn Jahren diskutiert haben, ist toxisch geworden. Keine Kommunikationsform in der Geschichte der Menschheit hat mehr gesellschaftlichen Schaden angerichtet als diese kybernetische Maschinerie, die ununterbrochen Authentizität propagiert - und das genaue Gegenteil ist. Der Kollateralschaden, den diese Mechanismen verursachen, rührt an das Demokratieverständnis (zur Vertiefung z. B. Peter Pomerantsev).

Das Netz wird geflutet mit maschinengeneriertem agendagetriebenem Content. Eine Kennzeichnungspflicht mag ein interessanter Gedanke sein (sie ist ja Teil des
EU AI Act) - sie ließe sich mutmaßlich weder sinnvoll überprüfen noch konsequent durchsetzen - schon weil die Betreiber der großen Plattoformen kein echtes Interesse daran haben und einen Teil ihres Erfolgs daraus schöpfen, dass sie geltende Gesetze bewusst missachten und die Langsamkeit von Behörden gezielt ausnutzen.


Sascha Lobo hat ein lesenswertes Buch darüber geschrieben, was die Folge von all dem ist: Ein Vertrauensverlust, der so umfassend ist und so tief reicht, dass er die Fundamente der Gesellschaft unterspült. Überschreiben wir die Wirklichkeit gerade auf eine Art und Weise, die den Menschen Stück für Stück den Boden unter den Füßen wegzieht?

Gerät die "Ökonomie der Aufmerksamkeit" an einen Kipppunkt?


Könnte es sein, dass die Ökonomie der Aufmerksamkeit sich gerade auf einen Kipppunkt zubewegt, an dem ihre Mechanismen immer deutlicher erkennbar nicht mehr funktionieren? Mehr und mehr Menschen spüren, dass etwas kaputt ist an der Kommunikation. Immer mehr kluge Menschen entziehen ihre Stimme den Netzen, weil sie das sinnlose Geschrei nicht mehr ertragen. Gabriele Fischer, Gründerin und Chefredakteurin von brand eins, sagt: "Der Stil der Auseinandersetzung, den die sog. sozialen Medien befeuert haben, ist nichts für meine Nerven - und leider auch nicht, wie erhofft, gut für die Demokratie." Aber welche Mechanismen ersetzen dann die für eine lebendige Demokratie unverzichtbaren Diskurse? Wie immer sind dabei Utopie und Dystopie zwei gleichzeitig existierende mögliche Quantenzustände, Schrödingers  Cat Content, gewissermaßen.


Klingt nicht besonders ermutigend? „Mitten im tiefsten Winter wurde mir endlich bewusst, dass in mir ein unbesiegbarer Sommer wohnt“. Du musst Optimist bleiben – einfach, weil dies das bessere Leben ist. Oder wie Thea Dorn in einem wunderbaren Stück schreibt: mit der Zuversicht sei es wie mit einem Muskel, mann müsse sie schon ordentlich trainieren, um sie in sich zu spüren.


"Rational begründete Zuversicht allein reicht niemals. Grundsätzliche, robuste Zuversicht ist letztlich immer unbegründet, sie ist eine Frage der Haltung, der Einstellung, des Willens."

Wir werden weniger arbeiten müssen als heute„, sagt Bill Gates, auf die AI-Revolution befragt. Die utopische Variante besteht darin, zu glauben, dass Maschinen schon bald einen Großteil der Arbeit machen werden und sich Menschen wie einst die „freien Bürger“ der antiken griechischen Polis der Muße widmen und zum Beispiel auf der Agora treffen können, um zu philosophieren. Das antike Griechenland als "Wiege der europäischen Demokratie" gründete sich auf der Arbeit unfreier Sklaven. Unter „freien Bürgern“ war Arbeit verpönt. Was für ein ungeheuerlicher Gedanke!


Arbeit ist ein entscheidendes Stichwort: Unsere nach protestantischer Arbeitsethik geprägten Wachstumsgesellschaften haben Arbeit so sehr zur Religion erhoben, dass eine Haltung wie im antiken Griechenland aktuell schlicht unvorstellbar erscheint: "Wer nicht arbeitet, der soll auch nicht essen", in der modernen Variante "Es gibt kein Recht auf Faulheit". Und weil der Mensch zur Strafe für die Erbsünde aus dem Paradies vertrieben wurde, soll er sein Brot im Schweiße seines Angesichts verdienen ("Arbeit muss weh tun")!


Die Crux besteht also darin, dass wir erst einmal neu verhandeln sollten, in welcher Gesellschaft wir eigentlich leben wollen. Was ein "gelingendes" oder "gutes" Leben ist, und welche Rolle Arbeit dabei spielt, bzw., was gute Arbeit ist. Diese Diskussion findet zwar in Grundzügen bereits statt - aber eher im Verborgenen, ziemlich elitär und keineswegs auf breiter gesellschaftlicher Basis. Und leider auch nicht in der Politik: Die Politik tut einfach so, als könne es einfach immer so weiter gehen. Dabei spüren alle: Wird es nicht. Der Begriff der Arbeit ist eng verknüpft mit dem Fortschrittsversprechen, das uns seit einigen Jahrzehnten umgibt. Dieses Fortschrittsversprechen hat ganz offensichtlich Risse bekommen.


Könnten nicht intelligente Maschinen diejenigen sein, die uns einen Weg aus der Sinn- und Legitimationskrise erarbeiten, in der wir aktuell feststecken?


So lange wir auf dem gesellschaftlichen Minimalkonsens "Geld anhäufen ist wie Gottesdienst" weitermachen, wird jede Art von Produktivitätssteigerung vorhersehbar nicht zu mehr Zeitgewinn und Entlastung führen - sondern nur zu noch mehr Arbeit (eine Denkanregung auf die duchaus ratlose Frage, warum es uns trotz aller Computer, Roboter, Gadgets und Produktivitätssteigerungen und entgegen allen Vorhersagen einfach nicht gelingen will, mehr Zeit für uns zu gewinnen). Warum eher das Gegenteil der Fall zu sein scheint, warum Zeitmangel und Zeitdruck gefühlt sogar noch zunehmen.


Um Missverständnissen vorzubeugen: Ich finde Arbeit keineswegs falsch oder nach Punk-Attitüde Scheiße. Ganz im Gegenteil. Ich will sie auch nicht vermeiden. Ich arbeite gerne und viel. Ich liebe es, aktiv zu sein, zu lernen, zu denken, etwas mit den Händen zu schaffen, mich zu bewegen, mich körperlich und geistig anzustrengen und zu fordern, Ziele zu erreichen. Ich kann gar nicht anders, ich bin so sozialisiert und habe mein eigenes Hamsterrad über Jahrzehnte selbst kultiviert. Aber.


Aber ich würde all dies gerne mit mehr Muße tun. Mit mehr biorhythmischer und chronobiologischer Klugheit. Lieber mehr vom "Richtigen" tun als lediglich möglichst viel in möglichst kurzer Zeit richtig tun zu müssen ("Menschen, die nicht gehetzt wirken, gelten als suspekt"). Mehr Auf und Ab statt Always On, mehr Zeit zum Reflektieren und neu Denken. So wenig falsch ich Arbeit per se finde, so falsch finde ich hingegen, wohin unsere Arbeitsethik uns im Laufe der letzten Jahrzehnte geführt hat: In eine Steigerungslogik, die den Planeten zerstört. Der Wirtschafts- oder besser Arbeitsforscher Hans Rusinek hat ein sehr lesenswertes Buch darüber geschrieben. Er sagt: "Unsere Arbeitswelt steckt in einer Sinn- und Legitimationskrise, aus der sie sich mit den praktizierten Logiken des Herstellens und Konsumierens nicht befreien kann."


Können wir das Fortschrittsversprechen erneuern? Oder müssen wir umdenken?


Der Soziologe Andreas Reckwitz ("das Ende der Illusionen") spricht dabei vom "Fortschrittsnarrativ" liberaler westlicher Gesellschaften, das sich speise aus der "Differenz zwischen Erfahrungsraum und Erwartungshorizont": Das Fortschrittsversprechen bestünde darin, dass "es immer besser werde", die gefühlte Erfahrung eines wachsenden Teils der Gesellschaft sei jedoch das genaue Gegenteil: Dass es trotz immer mehr Arbeit nicht mehr besser werde, sondern schlechter.

Statt gemeinsam über die (systemischen) Ursachen zu diskutieren, würden Schuldige gesucht, "die Regierung" zum Beispiel, "Ausländer" oder "intellektuelle Eliten": All dies sind sehr menschliche Ausweichmanöver und Vereinfachungen (Narrative!) - allerdings politisch höchst brisante:


Aus der negativen Bilanz zwischen Fortschrittsversprechen, Erwartungshaltung und Wahrnehmung leitet Reckwitz die Krise der liberalen Demokratien ab.


Arbeit ist mit dem Fortschrittsnarrativ zwangsläufig und unmittelbar verknüpft, denn ein Teil des Versprechens besteht ja darin, dass jede es schaffen könne, wenn sie sich nur genügend anstrenge. Der Glaube daran ist brüchig geworden, weil der Forschritt mehr und mehr Verlierer hervorbringt - und weniger Gewinner. Oder wie Bert Rürup im Handelsblatt sagt: "Ohne Wachstum in Form von persönlichen Wohlstandszuwächsen fehlt der Kitt, der die deutsche Gesellschaft bislang zusammenhielt".


Der österreichische Philosoph, Literaturwissenschaftler und politische Theoretiker Armen Avanessian spricht es aus (in einem Gespräch mit der ZEIT): "Letztlich behaupten alle, von Habeck bis Lindner, dass unser Wirtschaftssystemwir trotz Klimakrise und ökologischer Krisen (...) so weiterlaufen kann wie zuvor. Das ist natürlich zweifelhaft. Aber niemand spricht das an. Und deshalb geraten wir in Scheinkonflikte, weisen uns gegenseitig Schuld zu – und kommen dabei nicht von der Stelle."

Der Wirtschaftswissenschaftler Simon Schnetzer formuliert den gleichen Gedanken weniger systemkritisch als Avanessian - inhaltlich aber genauso. Schnetzer beschäftigt sich als selbstständiger Generationenforscher seit vielen Jahren mit den verschiedenen Alterskohorten. Mit zwei Co-Autoren gibt er einmal im Jahr die Jugendtrendstudie heraus. „Die Generation Y ist im Grunde die Generation, die die Arschkarte gezogen hat“, sagt er, „
Wir führen das System der Boomer fort, obwohl wir wissen, dass es so nicht weiter funktioniert.

Ein neues Narrativ alleine wird jedenfalls nicht reichen. "Weder Storytelling noch der narrative Turn wird die Rückkehr der Erzählung herbeiführen können", sagt der Philosoph und Kulturtheoretiker
Byung-Chul Han: "Der inflationäre Gebrauch von Narrativen verrät paradoxerweise eine narrative Krise. Mitten im lärmenden Storytelling herrscht ein narratives Vakuum, das sich als Sinnleere und Orientierungslosigkeit äußert".


Nur so eine Idee: Warum könnten nicht intelligente Maschinen diejenigen sein, die im 21. Jahrhundert ein neues Verständnis von Freiheit und Arbeit herbeiführen, indem sie (wie einst die Sklaven im antiken Griechenland) den Großteil der Wertschöpfung erarbeiten (nach welchem Wirtschafts- und Verteilungsprinzip auch immer)? Es muss ja gar nicht um die Abschaffung der Arbeit gehen, warum auch - sondern darum, sinnstiftende und erfüllende Tätigkeiten für Menschen in den Vordergrund zu rücken. Was für eine interessante, denkenswerte Utopie!


Oder wird es doch eher umgekehrt sein: Menschen werden über kurz oder lang zu Sklaven maschineller Superintelligenzen (AGIs), die die Menschheit langfristig verdrängen, so etwa wie der Homo Sapiens Sapiensis dem Neandertaler so offensichtlich überlegen war, dass der Neandertaler ausstarb und nur eine Handvoll Gene im Homo Sapiens hinterließ? Das wäre die dystopische Variante.


Die Zukunft ist offen. Machen wir was draus!


Wirklich, interessante Zeiten!


Rasch zurück auf den Boden der Realität: Um den Wandel im Fachverlag zu gestalten, musst du so ziemlich alles in Frage stellen: Werkzeuge, Prozesse, Produkte, Geschäftsmodelle. Vor allem aber die Denkkultur. Du musst eine Art Rebellion anzetteln, ohne dabei die Kernwerte zu zerstören. Geht das überhaupt? Sprechen wir hier nicht über ein klassisches Innovator’s Dilemma? Mission Impossible? Der Gegenbeweis ist nicht erbracht. Müssen wir etwa über das gesamte Verlagsgeschäftsmodell sprechen, die Monetarisierung von Reichweite und Inhalten? Whether you think you can or you think you can't, you're right.


Sogar das Fahrrad befindet sich im Wandel – im Mobilitätswandel, der mit wachsenden Städten einhergeht und in größerem Kontext mit dem Klimawandel steht. Sind Fahrräder mit Elektromotor überhaupt noch Fahrräder? Die  Radbranche ist selbst im Umbruch - und seit Corona ist einiges aus der Balance geraten. Neues zu wagen, heißt auch immer, die Angst vor dem Scheitern abzulegen. Auch das ist keine leichte Übung, besonders in Deutschland nicht (👉 German Angst). 


Die Alltagshöllen jedenfalls, zu denen wir unsere Städte über Jahrzehnte umgebaut haben, werden uns vorerst weiter begleiten. Hoffentlich nicht für immer! Und: Immer mehr Menschen entdecken das Fahrrad als das, was es tatsächlich ist: eine Glücksmaschine.


Am Wandel zu arbeiten, das ist ein echter Purpose.


Wirklich, interessante Zeiten!

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