Unwiederbringlich beschädigt


Die Fotos entstanden 1996, es gab noch keine Digitalfotografie und das Labor hatte meinen Diafilm verdorben.
Fünf- oder sechsmal war ich insgesamt in New York, zwischen 1993 und 1996, immer kurze Abstecher, immer beruflich. Vielleicht ohnehin die beste aller Arten, den Puls dieser Stadt zu spüren, ihre Atemlosigkeit und Geschäftigkeit, aber auch die Energie, jeweils drei bis zehn Tage mit sehr wenig Schlaf, tagsüber Termine, nachts unterwegs bis zum Umfallen, alles mitnehmen, was der Körper mitmacht, am Ende jedes Mal erschöpft im Flugzeug mit der Gewissheit, unter den Nachwirkungen des Jetlag innerhalb kürzester Zeit Texte fertigstellen zu müssen.
New York passte perfekt zum Jahrzehnt, die Neunziger kannten nur eine einzige Pedalstellung: Vollgas. I'll sleep when I'm dead. Fegefeuer der Eitelkeiten, American Psycho, Supermodels, Glamorama. Wir sind nachdenklicher geworden seit damals, ein wenig zumindest, demütiger auch, sogar Bret Easton Ellis.
1996 war der letzte Abstecher, und in den wenigen freien Stunden neben den Terminen war ich mit meiner Olympus IS-3000 unterwegs. Keine Digitalkamera, die kamen ja erst viel später. Ich fotografierte auf Diafilm, ISO 400, das Ergebnis immer leicht körnig aber auch bei schlechtem Licht halbwegs brauchbar, ein technischer Kompromiss. Keine außergewöhnliche Kamera aber mit dem fest eingebauten 35-180-Zoomobjektiv eine für mich gerade so erschwingliche Reise-Spiegelreflex. Die Kontakte zur automatischen ISO-Erkennung waren auf unerklärliche Weise verbogen, was zu einer ständigen Fehlinterpretation der Filmempfindlichkeit führte, ich musste eine Belichtungskorrektur eingeben, damit die Bilder nicht überbelichteten und habe lange gebraucht, um herauszufinden, woran das eigentlich lag.
Als ich wieder zuhause war und meine Dias vom Entwickeln abholte, hatte das Labor die Filme verdorben. Die meisten Originale waren stark verunreinigt und wiesen Spritzer und Flecken von Chemikalien auf. Anbei lag ein belangloses Entschuldigungsschreiben und “zu meiner Entschädigung” eine - unbelichtete - Filmrolle.
Natürlich war ich wütend, tröstete mich aber mit der Aussicht, möglichst bald wieder nach New York zu fliegen. Ich war nie wieder dort. Es hat sich einfach nicht mehr ergeben.
Die verdorbenen Diafilme lagen jahrelang in einer Blechkiste im Keller, und als ich sie beim letzten Umzug wiederentdeckte (2001!), waren sie verstaubt und verschmutzt, von Feuchtigkeit angegriffen und außerdem zerkratzt. 2003 habe ich die Filme durch den Diascanner gejagt wie sie waren. Hier sind drei davon, schlecht belichtet, unbearbeitet, unperfekt, eine derart unterirdische fotografische Qualität kann man sich heute gar nicht mehr vorstellen, im Zeitalter der hochauflösenden Smartphones, die alles automatisch richtig machen.
Diese Bilder sind mein eigenes Gedenken an die stolzen Twin Towers, an meine Bewunderung für Amerika, mit der ich groß geworden bin und die mein Weltbild maßgeblich mit geprägt hat, unwiederbringlich auf eine Weise, wie ich sie mir damals in den wildesten Träumen nicht hätte ausmalen können.
Erst die Zeit macht Fotos wertvoll, manchmal auch die weniger gelungenen, mitunter sogar die vollkommen verdorbenen. Honi soit qui mal y pense!
(dieses Stück ist aus meinem Blog von 2003, das es nicht mehr gibt)
