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Zufallsperlentaucher

Höhle, Sardinien, Italien, Meer, Tauchen

Ein Motorboot für einen Tag. Ein kleines Zodiac, ein verstärktes Schlauchboot mit 40-PS-Außenborder, rund 30 km/h schnell, wendig und einfach zu handhaben, nichts zum Angeben, etwas zum Spaß haben mit der Familie, im Urlaub auf Sardinien (Sardinien ist ein Sehnsuchtsort für mich, allein schon die Fahrt mit der Fähre ist immer der Übergang zu einer anderen Welt). Wir tuckern an der zerklüfteten Kalkküste durch den Golf von Orosei nach Süden, die Orientierung ist simpel. Man braucht keinen Guide und auch keinen Bootsführerschein, und wer auf einem der lärmenden Touristenboote mitschippert, bekommt vielleicht Selfie-Shots für Instagram - aber garantiert kein Erlebnis. Die Jungs dürfen auch mal ans Steuer, reine Freude.


Das Wasser hat hier Tropfsteinhöhlen gebildet, phantastische Dome aus Kalk und Wasser, teilweise über, teilweise unter dem Meeresspiegel. In einige fahren wir hinein, leise, ehrfürchtig, wie in ein Kirchenschiff. Springen ins schimmernde Azurblau, wo es uns gefällt. Man kann auch an Strände, einsame, unbesuchte, wirft mit etwas Abstand zum Ufer den Anker und schwimmt an Land.


Da unten, da liegt was, ruft Tim beim Schnorcheln, da, am Grund! Eine Taucherbrille. Irgendwer hat sie verloren, seltsam, warum nicht wieder hoch geholt? Sie liegt gar nicht soo weit unten - aber offenbar zu weit für diejenigen, die sie verloren haben. Ich probiere es. Ohne Brille, ohne Schnorchel, ohne Flossen oder Gewichte. Ein tiefer Atemzug erst, zwei, drei, dann alle Luft ausatmen, um schwer genug zu werden in dem Salzwasser mit seinem starken Auftrieb. Der Atemreiz kommt durch das CO2 in der Atemluft, mit vollen Lungen kannst du nicht sinken und nicht lang die Luft anhalten, schon gar nicht ohne Bleigürtel und Flossen. Apnoetaucher atmen aus, bevor sie in die Tiefe gehen.


Ich sinke, falle, schwebe abwärts, zehn Meter vielleicht oder zwölf. Ich lasse mich auf den Grund sinken, schwerelos, bewegungslos, dabei hellwach, ohne jede Ausrüstung, wie ein Perlentaucher. Es wird schon reichen, muss reichen. Frei von Angst, eine seltsame Geborgenheit umfängt mich: Ich bin ein Kind von Mutter Erde und schwebe in ihrem Bauch. Die berühmten Cenotes in Mexiko kommen mir in den Sinn, wir sind dort getaucht, seinerzeit, auf Yucatan, an der Grenze zu Belize. Parallelwelt, still, azurblau. Der Druck steigt, ich greife an die Nase, schlucke, einmal, zweimal, es quietscht in den Ohren.


Über 100 Tauchgänge mit Pressluft haben wir gemacht, auf allen Kontinenten, im südchinesischen Meer, am Great Barreer Reef, vor Zanzibar, im Roten Meer, auf Trinidad-Tobago. Der unvergessene Drift Dive vor Australien zum Wrack der Yongala, 1911 vor Townsville in einem Sturm gesunken, mit allen 122 Passagieren. Der Nachttauchgang an den Whitsundays, bei dem mir bereits beim Abtauchen die geliehene Schrottlampe voll Wasser lief, und ich eine Stunde lang mit geschärften Sinnen im Dunkel schwebte - einer der tollsten Tauchgänge ever. Das hier ist neu. Faszinierend. Dann greife ich nach der Brille am Grund, habe sie, stoße mich mit den Füßen vom Boden ab, schieße nach oben. Um Atem ringend tauche ich wieder auf.


Keine zwei Minuten hat das alles gedauert, dennoch so intensiv wie ein Fallschirmsprung. Ein tiefes Glücksgefühl durchströmt mich. Abenteuer müssen weder aufwändig sein, noch teuer, noch lebensgefährlich, noch müssen sie lange dauern. Nur eins müssen sie immer sein: intensiv.


Die Brille habe ich jetzt hier, gewaschen, getrocknet. Sie ist fast neu und passt perfekt. Sie erzählt eine Geschichte aus jener Tropfsteinhöhle an der Steilküste bei Cala Gonone, und ich stelle mir vor, wer sie wohl vorher getragen hat. Wir fahren weiter. Über den Bergen ziehen Gewitter auf.

Taucherbrille
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