Das erste und einzige Mal 100 Kilometer deutlich unter drei Stunden

Münsterland Giro

Unter den Amateur-Straßenrennen ist der Münsterland Giro auch schon so etwas wie ein Monument. Mit Start und Ziel in der Studenten- und Fahrrad-Hauptstadt Münster dreht er jährlich auf variierten Strecken seine Runde bis zum Teutoburger Wald und dann zurück nach Münster. Traditionell ausgetragen am 3. Oktober, ist das Wetter nicht mehr sommerlich und meistens ein Lotteriespiel.

Münsterland Giro

Race Day am Tag der Deutschen Einheit: Der Sparkassen Münsterland Giro, eines der größeren deutschen Radrennen mit viel Tradition. Ein Radmarathon wie der Tannheimer oder Ötztaler und ein schnelles Rennen wie der Münsterland Giro, das sind vollkommen unterschiedliche Kategorien - das heißt Äpfel mit Birnen vergleichen. Bei einem Radmarathon kämpfst du mit den Höhenmetern, mit brutalen Anstiegen teilweise bis 18 Prozent, mit drei oder vier langen Bergpässen - und spätestens nach 200 Kilometern mit dem "Mann mit dem Hammer". Vor allem aber ist ein Radmarathon ein Kampf gegen dich selbst: mit dem Körpergewicht, dem Kraft-Gewichtsverhältnis, der Herzfrequenz, dem Willen, dem Schmerz, der mentalen Stärke.

Der Münsterland Giro hingegen ist ein schnelles Rennen, technisch, taktisch - aber auch sehr toll. Die wenigen Höhenmeter selektieren das Feld über viele Kilometer kaum, die Verpflegung spielt eine eher nachgeordnete Rolle. Dafür ist die Taktik enorm wichtig, das kluge Windschattenfahren, die Kurven, wie viel Kraft du selbst investierst, um die Pace hoch zu halten, Lücken zuzufahren und auf die nächste Gruppe aufzuschließen. Wenn du kein eigenes eingespieltes Team hast, brauchst du viel Glück, um die "richtigen" Gruppen zu finden, die nicht zu schnell und nicht zu langsam für deine Möglichkeiten fahren, die aggressiv und ambitioniert genug sind - aber auch nicht zu risikobereit.


107 Kilometer - die Mitteldistanz ist perfekt, um alles rauszuhauen


Wir (Daniel, Alex und ich) starten über die 107 Kilometer, ein paar Fahrer aus dem R2C2 – RennRad Cycling Club waren schlauer als wir, die starteten eine dreiviertel Stunde später über die 130 Kilometer. Hätte ich auch mal machen sollen. An einem wolkenverhangenen Oktobermorgen um zehn vor sieben ein Radrennen zu beginnen, bedeutet, noch bei Dunkelheit aus der Unterkunft die fünf Kilometer zum Start zu eiern und sich darüber zu ärgern, kein Licht mitgenommen zu haben.


Zum Glück ist Münster die fahrradfreundlichste Stadt Deutschlands, und so ist der Weg zum Start trotz der Dämmerung völlig sicher und problemlos. Wir starten in Block C, wer zum ersten Mal dabei ist, darf nicht weiter vor. Heißt: Du kämpfst dich von Anfang an durchs Feld nach vorne, immer mit der gebotenen Vorsicht. Die Straßen sind nass und rutschig, es liegt schon Herbstlaub in vielen Kurven, es gibt Kopfsteinpflasterpassagen, Verkehrsinseln und etliche Abschnitte, bei denen sich die Strecke abrupt verengt. Und am Anfang sind immer alle überambitioniert und hektisch. Wie in jedem Rennen.


Die Landschaft ist, obwohl topfeben, wirklich grandios. Ein Genuss, in einer langen Kette über diese langgezogenen Alleen und Felder zu ballern. Der Wind hat ein Einsehen, zumindest in der ersten Hälfte des Rennens, und so steht bei Kilometer 40 ein satter 39er-Schnitt auf meinem Tacho. Den würden wir nicht halten können, denn nun kommen die ersten Höhenmeter - zwar nicht besonders selektiv, wer die bayerischen Alpen gewöhnt ist aber spürbar, um das Feld deutlich einzubremsen. Für einen kurzen Moment blinzelt die Sonne aus den dunklen Regenwolken und taucht die Landschaft in ein goldenes Morgenlicht. Arschkalt ist es trotzdem, ich bin heilfroh, dass ich mich für lang-lang und winddichte Kleidung entschieden habe, es ist auch noch nicht klar, ob es gleich wieder regnen wird.


An den lächerlichen Rampen zum Teutoburger Wald fallen die Flachlandtiroler zurück: Sie kennen einfach keine echten Anstiege


Wir streifen kurz die sanften Hügel des Teutoburger Walds und wenden uns im Formationsflug wieder in Richtung Münsterland. Immer häufiger tauchen jetzt vor uns Gruppen aus den Startblöcken B und A auf. Wir fahren die Lücken zu, jeder arbeitet mal im Wind, wir überholen Gruppe um Gruppe. Ich habe mich entschlossen, dieses Mal auf Riegel oder Gels zu verzichten und ernähre mich komplett aus der Trinkflasche. Das erspart das ständige Gefummel am Trikot und ist einfach sicherer in größeren Gruppen. Ein Kohlenhydratmix mit Mineraltablette und Magnesium - die Mischung bekommt mir hervorragend, ich fühle mich exzellent und über die gesamte Distanz kein einziges Mal schwächer.


Nach 80 Kilometern häufen sich wieder die Ortsdurchfahrten und Häuserpassagen, ständig heikle Kurvenfahrten, die volle Konzentration erfordern. Ich habe Glück, keine Stürze in meinem Umfeld und ausschließlich besonnene Fahrer, die offensichtlich wissen, was sie tun. Später höre ich, dass es in den Gruppen über 130 Kilometer etliche Stürze gegeben hat, auch ein paar schwerere. Jetzt, gegen Ende des Rennens treffen wir auf Gruppen aus dem kürzeren 60-Kilometer-Wettbewerb. Sie sind teilweise deutlich langsamer unterwegs als wir und mitunter so zahlreich, dass es schwierig wird, trotz der breiten Straßen ohne Zeiteinbuße links vorbeizuziehen. Schließlich die Zielgerade und da ist sie, die legendäre Flamme Rouge, die den letzten Kilometer markiert.


Ich gebe nochmal alles, bin jetzt über 50 Stundenkilometer schnell, bleibe aber im Sattel und verzichte auf den Schlusssprint im Stehen, um niemanden zu gefährden und auch selbst nicht noch auf den letzten Metern zu stürzen. Wir rollen unter dem Applaus erstaunlich vieler Zuschauer über die Ziellinie und hören unsere Transponder im Chor das Finish piepen.

Die nackten Fakten: 106,37 Kilometer in einer Nettozeit von 2:49:35 Stunden, das ist ein Schnitt von 37,4 km/h für mich, Gesamtplatz 292 von 1.393 Startern, Platz 58 in meiner Altersklasse "Masters 3". Prima! Ein bisschen mehr wäre drin gewesen, aber ich kannte die Strecke nicht, wusste nicht, wie die Steigungen mir schmecken und war vielleicht ein bisschen zu vorsichtig bei den wechselnden und teilweise arg rutschigen Bedingungen. Dafür sind die Knochen heil geblieben - und das geliebte Bike auch.


Ein tolles Rennen, perfekt organisiert und abgesichert. Großartiges Erlebnis! Gerne wieder im nächsten Jahr! Ein dickes Danke an alle, die mitgeholfen haben, an all die Streckenposten, Helfer, Organisatoren!