Hartmut Ulrich Logo

Vom Schachenschloss über die Dreitorspitzen

Hoch über den Spuren des "Kini"

Mit den E-Bikes vom großen Wanderparkplatz bei Schloss Elmau den Berg hinauf vorbei an der Wettersteinalm bis auf 1.866 Meter zum legendenumwobenen Schachenhaus des "Kini". Von dort geht es noch ein kurzes Stück den Berg hinauf, bis wir unsere Räder in den Latschenkiefern verstecken und zu Fuß weitergehen hoch zur Meilerhütte und von dort über die Partenkirchener Dreitorspitzen. Grandiose Tagestour mit leichter Genusskletterei.

 „Da wollt’s ihr nauf mit‘n Radln“, fragt die alte Dame ungläubig, als sie uns auf dem Trail oberhalb des Schachenhauses entgegenkommt. Der Singeltrail ist steil, steinig verblockt, enthält anspruchsvolle Spitzkehren und unzählige Stufen – Schwierigkeitsstufe S4 nach der SKS Singletrailskala, Uphill so ziemlich das Anspruchsvollste, was möglich ist. Gleich danach kommt Tragen – nur eben kein E-Bike. Als die Frau an uns vorbei talwärts geht, murmelt sie noch etwas auf Urbayerisch, und es ist nicht ganz klar, ob das freundlich gemeint war oder verärgert. Wir haben unsere Tour noch gar nicht richtig begonnen, da finden wir uns mitten in der gesellschaftlichen Diskussion wieder, die derzeit überall geführt wird: Lassen sich kommerzielle Interessen, Massentourismus und das empfindliche Gleichgewicht der Berge überhaupt unter einen Hut bringen? Und: Verschlimmert das E-Bike die Situation – oder entzerrt es die Hotspots? So oder so: E-Biker polarisieren und werden häufig angequatscht, mal freundlicher, mal aggressiver. In jedem Fall erfordert die Chance auf ein langfristiges Miteinander Behutsamkeit und gegenseitige Rücksichtnahme. Man kann sich allerdings auch gezielt aus dem Weg gehen – auch darin liegt eine echte Chance für das E-MTB in den Alpen.


Zum Schachenschloss


Hier soll es aber nicht um Politik gehen, sondern vor allem um eine großartige Tagestour über die Partenkirchener Dreitorspitzen am Wettersteingrat – tatsächlich ein Hotspot des Massentourismus, zumindest bis zum Schachenhaus. Ausgangspunkt ist der große Wanderparkplatz hinter Schloss Elmau. Unsere erste Etappe führt uns über den breiten, sehr einfachen und reichlich beschilderten Forstweg vorbei an der Wettersteinalm hinauf zum 1.866 Meter hoch gelegenen Schachenhaus. Es handelt sich um den „Königsweg“, den einfachsten und zugleich beliebtesten Anstieg zum Schachenschloss. Auf diesem Weg hat sich König Ludwig II. (der „Kini“) in den 1870er Jahren von einem bis zu 200 Köpfe starken Gefolge auf den Berg kutschieren lassen, um im verschwenderisch eingerichteten Schachenschloss der Realität zu entfliehen. Die Besichtigung lohnt sich übrigens durchaus, allein der Blick in die mit orientalischem Prunk ausgestattete Drogenhöhle im Obergeschoss ist spektakulär und erzählt eine Menge über jenen sagenhaften Märchenkönig, der sich viel mehr für Romantik interessierte als für Politik und 1880 unter bis heute ungeklärten Umständen im Starnberger See ertrank. Wir haben heute allerdings andere Pläne.

Zu Fuß braucht es zweieinhalb bis drei Stunden für den „Königsweg“. Mit den E-Bikes stehen wir bereits nach etwas mehr als 30 Minuten 860 Meter höher am Schachenschloss. Ein Akku reicht, trotz einiger durchaus giftiger Rampen auf der Strecke. Weil die Tour so beliebt ist bei Wanderern, Mountainbikern und auch bei Bergläufern, ist höchste Vorsicht und gegenseitige Rücksichtnahme geboten - bei der Abfahrt noch weitaus mehr als rauf. Allerdings kommt es sehr auf den Wochentag und die Tageszeit an: Wir sind unter der Woche hier und werden erst kurz nach Sonnenuntergang wieder talwärts rollen. Dann sind die letzten Wanderer längst weg, und wir können die Magie der letzten Sonnenstrahlen hoch oben am Berg genießen. Der mögliche Zeitversatz gegenüber Fußgängern ist ein unbestreitbarer Pluspunkt fürs E-MTB - eleganter geht’s nur noch mit dem Gleitschirm.

 

Vom Schachenhaus zur Meilerhütte


Am Schachenhaus halten wir uns nicht lange auf, obwohl dort eine schöne Terrasse und ein grandioser Ausblick auf die Gratwelt des Wetterstein zum Verweilen lädt. Oberhalb des Schachenschlosses wird aus dem breiten und sauber geschotterten Wirtschaftsweg abrupt der erwähnte S4-Singletrail. Schiebepassagen häufen sich, „analoge“ Radbergsteiger würden jetzt ihr Bike schultern. Mit dem E-MTB geht das nicht – die rund zehn zusätzlichen Kilogramm im Vergleich zu einem Enduro-Mountainbike verändern den Charakter sinnvoller Touren: Mit rund 22 Kilogramm sind die meisten E-Mountainbikes schlicht zu schwer für längere Tragepassagen. Man muss bereits bei der Tourplanung sorgfältig prüfen, was man sich zumutet will, vor allem in gemischten Gruppen.

Zwar besitzen die E-MTBs wie jedes Elektrorad einen Schiebemodus, doch für die Aktivierung muss man dauerhaft den Knopf an der Schalteinheit gedrückt halten. In technisch anspruchsvollem Gelände führt das schnell zu einer verkrampften linken Hand, und ich wünsche mir nach kurzer Zeit den Aktivierungsknopf für den Schiebemodus hinten am Sattel. Zudem nerven die Flatpedals: Schon am Parkplatz habe ich mich geärgert, dass ich meine geliebten SPD-Klickis vergessen habe. Die bieten mir jederzeit sicheren Stand und lösen gleichzeitig so federleicht zur Seite aus, dass ich auch auf anspruchsvollen Trails jederzeit reflexartig den Fuß zur Seite stellen kann. Die bin ich einfach gewöhnt – die Flatpedals nicht. In dem anspruchsvollen Gelände erweisen sie sich jetzt als hochgradig unangenehme Verletzungsquellen: Die Pedale drehen sich beim Schieben immer wieder unkontrolliert über Steinbrocken oder Grassoden, und innerhalb kürzester Zeit habe ich von den Schrauben auf der Trittfläche blutige Schrammen an den Schienbeinen. „Anfängerpech“ mag der eine oder andere Leser denken – geschenkt, aber nicht in diesem Gelände! Schienbeinprotektoren wären eine Lösung, aber bergauf bei der Sommerhitze auch nicht das Gelbe vom Ei. Mit Klickies brauche ich Uphill schlicht keinen Beinschutz.

Wir beschließen bald, dass für die E-MTBs hier Schluss ist und dass wir sie nicht bis zur Meilerhütte hochfahren werden – zumindest nicht alle. Wir suchen ein verstecktes Lager im dichten Latschenkiefer-Buschwerk, legen die Bikes ab und klappen die Gehstöcke aus. Zu Fuß sind wir hier eleganter unterwegs als mit jedem E-Bike, auch wenn der Trail später wieder flacher und fahrbar wird.


Über die Partenkirchener Dreitorspitzen


Die Meilerhütte (2.372 Meter ü. N.N.) ist eine Alpenvereinshütte und von Mitte Juni bis Mitte Oktober bewirtschaftet. Vom Schachenhaus lässt sie sich über das Frauenalpl (2.202 m) in rund eineinhalb Stunden zu Fuß erreichen. Als wir auf dem Grat des Dreitorspitzgatterl ankommen, ist aus den schwülheißen hochsommerlichen Temperaturen ein kühles hochalpines Klima geworden. Einzelne bitterkalte Böen fegen über den Sattel Richtung Leutascher Platt, auf dem wie immer noch ordentlich sulziger Altschnee liegt. Rasch ziehen wir die wind- und wasserdichten Funktionsjacken über und packen die Stöcke weg: Direkt hinter dem Haus beginnt die direkte Überschreitung der Partenkirchener Dreitorspitzen (Westgipfel 2.633 m ü. N.N. Von der Meilerhütte ist das gut eine Stunde leichte Kletterei, meist im I. oder II. alpinen Schwierigkeitsgrad, eine einzige Schlüsselstelle III. Die komplette Überschreitung dauert runde drei Stunden.

Der Gipfelanstieg kann in zwei Varianten erfolgen: Entlang der Gratkette über den Hermann-von-Barth-Weg und die teilweise auch im Sommer noch vereisten Ausläufer des Leutascher Platt und dann über der zwar einfachen aber immer steinschlaggefährdeten Klettersteig. Oder wie wir jetzt, als direkte Überschreitung in freiem Felsgelände über den Wettersteinkamm, der hier die Grenze zwischen Tirol und Bayern bildet. Diese Variante erfordert etwas mehr Orientierungsvermögen bzw. alpine Erfahrung bei der Wegfindung. Die direkte Überschreitung führt von der Meilerhütte direkt auf den Grat über Signalkuppe (2.486 m), Bayerländerturm (2.507 m) und die Partenkirchner Dreitorspitzen mit Nordostgipfel (2.626 m), Mittel- (2.622 m) und Westgipfel (2.633 m). Den Klettersteig, der in der ersten Variante für den Aufstieg dient, nutzen wir zum Abstieg. Das geht deutlich schneller als bergauf, so setzen wir uns kürzer möglichem Steinschlag aus. Die Zeit ist bereits fortgeschritten, und wir begegnen keiner Menschenseele.  Alpinerfahrene Begeher können auf Seilsicherung bzw. Klettersteigset verzichten, ausgesetzte Passagen im II. Grad sollte man aber angstfrei und souverän bewältigen können. Wegen der Steinschlaggefahr ist ein Helm vor allem im Klettersteig Pflicht.

Apropos Zeitplanung: Wer Wanderern gezielt aus dem Weg fahren und die Geschwindigkeitsvorteile seines E-MTB nutzen möchte, kann die Tour an einem einzigen Tag vom Wanderparkplatz Elmau absolvieren und trotzdem noch später starten als Wanderer. Zu Fuß ist eine Übernachtung am Schachenhaus oder der Meilerhütte fast unumgänglich, ganz nebenbei viel schöner ist als eine „Speedbegehung“ an einem Tag. Ein sicheres Gespür fürs Wetter ist bei spätem Start allerdings unverzichtbar, ganz gleich ob mit Bike oder ohne. Vor allem im Hochsommer steigt die Gewitterneigung am frühen Nachmittag abrupt an – da nutzen auch die Wetter-Apps auf dem Handy wenig: In der Regel liegen die Messpunkte der Wetter-Apps zu weit auseinander, um lokale Wärmegewitter in den Bergen zuverlässig anzeigen zu können. Auf einem Grat oder Klettersteig in ein Gewitter zu geraten, bedeutet jedoch immer akute Lebensgefahr.
 
Downhill nach Elmau


Ist man erst einmal wieder zurück an der Meilerhütte, geht es fast wie von selbst zurück zum Schachenhaus. Bald schrauben wir die Steckachsen unserer Bikes wieder ein und ballern los. Die Abfahrt über die rund 13 Kilometer des „Königsweg“ ist purer Genuss und Belohnung für die an diesem Tag zu Fuß absolvierten Höhenmeter. In einigen Kurven des breiten Wirtschaftswegs liegt allerdings tiefer loser Schotter, für Ungeübte besteht hier höchste Sturzgefahr! Eine saubere Mountainbike-Fahrtechnik ist Pflicht, und auch der Reifendruck ist bei Einsteigern meist viel zu hoch (1,5 bis 2 bar reichen, ein Stadtrad zum Vergleich wird mit etwa 4 bar gefahren, ein Rennrad mit 6-8 bar). Wer die fahrtechnischen Fertigkeiten nicht mitbringt, dem raten wir zu einem MTB-Fahrtechniktraining, wie sie viele Bikeparks, Berg- und Mountainbikeschulen anbieten. Was viele nicht wissen: MTB-Fahrtechnik unterscheidet sich deutlich von Rennrad- oder herkömmlicher Rad-Fahrtechnik, vor allem beim Einlenken und in den Kurven, aber auch in der Haltung auf dem Bike. So ein Kurs kostet nicht viel und macht unglaublich viel Spaß.


Keine halbe Stunde Minuten später, und wir sind wieder zurück bei unseren Fahrzeugen am Parkplatz in Elmau. Sechseinhalb Stunden waren wir für die 30 Tageskilometer und 1.900 Höhenmeter unterwegs, zu Fuß wären dafür weniger als zehn Stunden nur für Trailrunner möglich. Mit den E-MTBs war es eine wundervolle Genusstour, die man auch noch mittags in aller Ruhe angehen kann. Die Akkus der Räder haben noch jede Menge Reserven – wir auch. Bis auf bald, bei neuen Abenteuern!


Der Text erschien 2018 in der mittlerweile eingestellten Zeitschrift bikesport E-MTB.

Share by: