Großer Preis von San Marino 2006
Ein letztes Mal die Formel 1 hautnah
Wenn du beruflich mit der Formel 1 zu tun hattest und einen Blick hinter die Kulissen werfen durftest, verändert sich die Wahrnehmung. Für die Mehrzahl der Menschen in den Teams bedeutet die Formel 1 eine besondere Art von Einsamkeit mitten im rasenden Zirkus, ständiges Unterwegssein und bedingungsloses Committment, bei dem der Einzelne nichts zählt - nur das gemeinsame Ziel. Für mich war es das letzte Mal live vor Ort. Was 1993 mit Sega als Sponsor von Williams begonnen hatte, endete 2006 - dem Jahr, in dem Michael Schumacher seinen Rücktritt verkündete.

Die Jungs haben das zu verantworten, dass diese 13 Jahre alten Bilder jetzt hier auftauchen, die Jungs! Völlig aus der Zeit gerissen. "Papaa, können wir Youtube?", haben sie gebettelt. Sind dann irgendwie über Ferrari gestolpert und den geilsten Motorensound aller Zeiten (Der V12 des Ferrari 412 T2 von 1995 natürlich, abgesehen vielleicht vom Rolls-Royce Merlin V12, einem Flugzeugmotor, der in den 40ern in der britischen Spitfire verbaut wurde und dann später in der P-51 Mustang).
Es gab Zeiten, da war Motorsport groß. Wer je einen Formel-1-Motor direkt vor sich in der Box starten hörte, war geprägt für immer. Brachial, ein Brüllen wie von einem Drachen. Seltsam, wie das heute klingt, ist mir beinahe peinlich. So aus der Zeit gefallen: Die Sehnsucht, einen Drachen zu reiten - wahrscheinlich ist es das, was Autos mit 500 PS immer noch so gut verkauft. Nur: Drachen reitet heute nur noch Daenerys Targaryen, die blonde Königin aus "Game of Thrones". AUch schon wieder zehn Jahre her, fuck! Manche Dinge lassen sich einfach nicht beschreiben, so wenig wie sie sich rückblickend verstehen lassen. Man muss sie selbst erlebt haben, in der richtigen Zeit, am richtigen Ort. Das alte Rom und seine Gladiatorenkämpfe verstehen wir modernen Menschen auch nicht mehr. Wir glauben es vielleicht, aber das ist ein Irrtum.
Ich habe diesen Zirkus geliebt, diesen dekadenten Irrsinn, seit meinem ersten Live-Rennen, 1993 in Hockenheim, als Sega Sponsor bei Williams war und uns in den Paddocks-Club einlud. Damals ging sowas noch, und damals habe ich Feuer gefangen, Rennbenzin mit 110 Oktan. Michael Schumacher fuhr das erste Jahr für Bennetton. Die Formel-1 WAREN die Neunziger, in kein Jahrzehnt hat diese Rennserie so gut gepasst, mit alle ihren Facetten, wie in die Zeit von max, Prince, Naomi Campbell, Kate Moss, Michael Douglas. Und eben Michael Schumacher. Anything goes, "Gas geben" kannte nur einen einzigen Zustand: Vollgas. Wir sind klüger geworden heute. Zum Glück?
In den Nullerjahren habe ich als Agenturdienstleister für Marken wie Audi, Volkswagen und MAN gearbeitet. MAN Nutzfahrzeuge, später MAN Truck & Bus, war damals stark im Motorsport engagiert - auch in der Formel 1: Beinahe alle Teams, deren Motorenmarken nicht auch eigene LKWs im Portfolio hatten (also z.B. Mercedes oder Renault) setzten 2006 auf Sattelzugmaschinen von MAN Truck & Bus für die Rennteams und ihre hochtechnisierten Motorhomes. Als Kommunikationsdienstleister für MAN bekam ich mehr als einmal die Gelegenheit, im Fahrerlager und in der Boxengasse der Formel 1 unterwegs zu sein und ein Gefühl dafür zu bekommen, was die Formel 1 jenseits der spektakulären Fernsehbilder tatsächlich bedeutet.
Sportlich markierte der Große Preis von San Marino 2006 ein taktisches Meisterstück für Ferrari: Michael Schumachers ersten Saisonsieg und Ferraris ersten Triumph der Saison. Die Rennstrecke in Imola (Autodromo Enzo e Dino Ferrari) war bekannt dafür, dass Überholen gar nicht oder nur sehr schwer möglich war - was eine möglichst gute Platzierung im Qualifiying entscheidend machte. Schumacher sicherte sich die Pole-Position und besiegte im Rennen in einem glänzenden taktischen Duell Fernando Alonso (Renault), der nach zwei Siegen und einem zweiten Platz in den ersten drei Rennen eigentlich als Favorit galt. Schumachers Sieg 2006 war sein siebter Triumph in Imola insgesamt. Im September der gleichen Saison gab der siebenfache Weltmeister dann seinen Rücktritt bekannt, beim Großen Preis von Italien in Monza (nicht zu verwechseln mit dem Großen Preis von San Marino).
Imola war seit dem tödlichen Unfall von Ayrton Senna 1994 historisch belastet, die Rennstrecke galt als besonders gefährlich. Obwohl Imola auch in Italien liegt (in der Emilia-Romagna, nur 80 km von Ferraris Stammsitz in Maranello entfernt) wurde der Grand Prix als Großer Preis von San Marino ausgetragen - auch Italien durfte nur einen Grand Prix austragen, der den Namen des Landes trug (der große Preis von Italien fand in Monza statt, nordöstlich von Mailand). 2020 kehrte die Rennstrecke in Imola als Emilia-Romagna-GP in den F1-Kalender zurück.
Mein Interesse für den Motorsport ist seit 2006 nahezu vollständig erloschen. Vielleicht habe ich einfach ein bisschen zu viel hinter die Kulissen geguckt. Ganz sicher liegt es auch daran, wie der Charakter der Formel 1 sich verändert hat. Nein, eigentlich haben sich die Zeiten noch sehr viel mehr verändert als die Formel 1. Und wahrscheinlich ist das der Grund.
P.S. Die Bilder habe ich alle selbst gemacht. Sie wurden nie veröffentlicht. Fotos werden erst dann kostbar, wenn sie zu Dokumenten ihrer Zeit geworden sind. Aber eigentlich waren es gar nie die Bilder: Es war immer der Sound. Der Sound!